Aus der Rubrik “Wissenswertes”:

 

Erfordert eine außerordentliche Kündigung wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens eine Interessenabwägung aller für den Bestand des Mietverhältnisses sprechenden Umstände gegen die Interessen des Vermieters an einer Vertragsbeendigung?

Die Antwort des Amtsgerichts Peine (AG Peine – 16 C 284/17, Urteil vom 07.08.2019) lautet: Ja!

Zur Begründung führt das Amtsgericht Peine in seiner vorgenannten Entscheidung unter II. wie folgt aus: „Außerordentliche Kündigung: Interessenabwägung

Letztlich kommt es auf eine Interessenabwägung an. Namentlich sind die für den Bestand des Mietverhältnisses sprechenden Umstände, für welche der Mieter die Darlegungs- und Beweislast trägt, gegen die Interessen des Vermieters an der Vertragsbeendigung abzuwägen, Auch und gerade bei der Frage der Berechtigung einer fristlosen Kündigung wegen nachhaltiger Störung des Hausfriedens durch einen psychisch kranken Mieter ist es die Pflicht des Tatrichters, die Belange des Vermieters, des Mieters und der anderen Mieter unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Grundgesetzes gegeneinander abzuwägen (siehe zuletzt nur BGH Beschl. v. 24.11.2009 – VIII ZR 174/09BeckRS 2009, 87284).

In der Abwägung überwiegt das Aufhebungsinteresse der Klägerin als Vermieterin. Denn dieses Interesse ist besonders gewichtig, dass zum nachhaltigen, wiederholten und besonders intensiven Lärmstörungen durch rücksichtsloses Musikhören kam, die bei einer Rücksichtnahme, wäre sie auch nur ansatzweise vorhanden gewesen, zumindest nach den jeweiligen Hinweisen des Mitmieters … leicht abbestellen gewesen wäre, um eine pflegliches Miteinander wiederherzustellen.

Das Bestandsinteresse des Beklagten als Mieter hat dahinter zurückzutreten, trotz der gewichtigen Interessen, die sich aufgrund der psychischen Erkrankung des Beklagten und den aus einer Beendigung erwachsende Nachteilen ergeben.

Zunächst einmal kann das Verhalten des Beklagten nicht als schuldlos angesehen werden. Dabei benennt § 543 Abs. 1 BGB als ein Abwägungskriterium das Verschulden der Vertragsparteien an dem Entstehen des Kündigungsgrundes. Für den Fall des verhaltensauffälligen Mieters ist damit in die Abwägung mit einzubeziehen, ob dieser aufgrund der bestehenden Erkrankung keine Steuerungsfähigkeit hat (s. dazu Schindler, WM, 2018, 255, 257). Anzeichen für das Fehlen einer Steuerungsfähigkeit haben sich indes nicht ergeben.

Das Gericht ist allerdings überzeugt auf Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. … dass bei dem Beklagten eine posttraumatische Belastungsstörung besteht. Der Sachverständige hat für das Gericht nachvollziehbar ausgeführt, dass die Wohnung eine große persönliche Bedeutung habe und ihm einen schützenden (protektiven) Raum biete. Einen Suizid im Falle des Auszugs aus der Wohnung hielt er eher für unwahrscheinlich. Eine Reaktion in affektiver Weise in Gestalt einer zunehmenden Depression oder auch eine manische Reaktion, die sich etwa dahingehend äußern könne, dass er sich der Räumung widersetzt, halte er demgegenüber für naheliegend. Dabei könne – müsse aber nicht – eine Instabilität sich so weitreichend, dass er ein Kandidat für eine akute psychiatrische Behandlung werde.

Zunächst ist allerdings auszuführen, dass der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt hat, dass die betreffenden affektiven Reaktionen stufenweise und sich dabei steigernd auftreten würden. Das Urteil sei belastend, die letztlich von dem Sachverständigen angegebenen möglichen Folgen verwirklichten sich in voller Wirkung aber erst bei dem tatsächlichen Auszug. Dies reicht nach zutreffender Auffassung als Härtegrund nicht aus. Denn: Besteht die Möglichkeit, dass sich die Gefahr im Falle der Zwangsräumung verwirklicht, so ist dieser Umstand nicht im Erkenntnis-, sondern – wie allgemein bei Vollstreckungshindernissen – erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen (Schmidt-Futterer/Blank, 13. Aufl. 2017, BGB § 569Rn. 23; BGH NZM 2005, 300).

Lediglich höchst hilfsweise wird ausgeführt:

Selbst wenn man der vorgenannten Auffassung nicht folgen und bereits bei der Interessenabwägung im Erkenntnisverfahren auch die Folgewirkungen bei der Räumungsvollstreckung – also dem schlussendlichen Auszug – berücksichtigen wollte, ergäbe sich letztlich kein anderes Abwägungsergebnis.

Denn auch in diesem Fall wären die gesundheitlichen Folgen mangels eines naheliegenden Suizids nicht so schwerwiegend, dass das Eigentumsrecht der Klägerin zurücktreten müsste.

Es wäre zwar nach dem Ergebnis des Gutachtens eine Verschlimmerung der Depression oder auch eine manische Reaktion möglich, jedoch ist mit dem Sachverständigen davon auszugehen, dass über eine angemessene Kündigungsfrist erreicht werden kann, dass der Beklagte Zeit hat, sich auf die Situation vorzubereiten und gegebenenfalls mit einer Therapie, die ihn stabilisiert und auch den Auszug vorbereitet, zumindest zu beginnen.

Entsprechend hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten auf Blatt 217 der Akte ausgeführt, dass er den zunächst unterbreiteten Vergleichsvorschlag des Gerichts mit einem komfortablen Auszugstermin von 12-15 Monaten, beginnend naheliegend mit dem Termin der betreffenden Stellungnahme (1.2.2019), für zumutbar und zielführend erachte (wörtlich heißt es: “durchaus anzustrebende Lösung“).

Da das Gericht, wie noch auszuführen sein wird, eine Frist für die Räumung bis zum 31.3.2020 gewährt, kann dem Petitum des Sachverständigen, einen komfortablen Auszugstermin zu ermöglichen, auf diesem Wege Rechnung getragen werden.

Weiter ist zu beachten, dass das Interesse des Beklagten am Bestand des Mietverhältnisses aus besonderen Gründen an Gewicht verloren hat.

Namentlich ist das Gericht überzeugt, dass er sich nicht angemessen um eine zeitnahe Therapie bemüht hat.

Anerkannt ist, dass die Belange des Mieters dann zurücktreten können, wenn dieser sich in seiner Krankheit einrichtet und trotz Behandlungsmöglichkeit keine hinreichenden Bemühungen um eine Besserung unternimmt (Schindler, WM 2018, 255, 257).

Hier hat der Beklagte zwar ausgeführt, sich um Therapiemöglichkeiten bemüht zu haben, allerdings waren diese Bemühungen nach dem Dafürhalten des Gerichts auf unterem Niveau anzusiedeln. So hat er sich nach seiner Aussage zunächst darum gekümmert, eine Art Gesprächstherapie bei einer Einrichtung in Peine zu machen; er hat hierzu ausgeführt, dabei gehe es darum, eine vernünftige Lebensperspektive aufzubauen, nicht um eine Therapie im engeren Sinne. Notwendig ist aber nach der Einschätzung von Dr. … eine psychologische Therapie im engeren Sinne. Diesbezüglich äußerte der Beklagte, er habe sich einmal telefonisch an die Berliner Charité gewandt, da habe man ihn aber abgewiesen, da man dort Menschen, die unter dem Verdacht eines Sexualdeliktes stehen, was damals für den Beklagten zutreffend war, nicht aufnehme. Sodann hat der Beklagte ausgeführt, dass er sich erst wieder im Jahr 2018 dahingehend bemüht habe, eine Therapie anzustrengen. Insofern habe er zum Januar 2019 einen ersten Termin für ein Gespräch in den Warendorffschen Kliniken erhalten. Diesen habe er dann krankheitsbedingt nicht wahrnehmen können.

Insgesamt waren derartige Bemühungen nicht hinreichend. Der Beklagte hätte sich nach der angeblich ablehnenden Haltung der Berliner Charité umgehend um alternative Einrichtungen bemühen müssen. Auch in Ansehung der langen zeitlichen Abstände der durch die Einrichtung Wahrendorff ermöglichten Termine hätte genügend Anlass bestanden, sich zeitnah nach Alternativen umzusehen.”